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"Therapeutische Traumdialoge" - Interview mit Mag. Robert Riedl

Fragen von Yvonne Hölzl

In nächtlichen Träumen scheint unsere schöpferische Kraft allgegenwärtig. Gut so, denn diese lassen sich in unsere eigene Lebenswelt übertragen. Therapeutische Traumdialoge helfen dabei!

Sie haben sich unter anderem auf therapeutische Traumarbeit/Traumdialoge spezialisiert. Wobei geht es bei Traumdialogen?

Mit dem Begriff „Traumdialog“ möchte ich mich bewusst von „klassischen Traumdeutungen“ abgrenzen. Mein Anliegen als Systemischer Psychotherapeut ist vielmehr, Menschen auch über erinnerte Traumbilder in einen Dialog mit sich selbst zu bringen, ein Dialog mit unbewussten und bewussten Sinnbildern, der darauf abzielt mehr Klarheit über persönliche Problemwahrnehmungen zu gewinnen und sich individueller Ressourcen bewusster zu werden, um realistische Lösungsmöglichkeiten zu finden.

Sind Träume noch ein Orakel? Wie aussagekräftig ist heute die Traumdeutung?

Das Wort „Orakel“ bedeutet in seinem ursprünglichen Gebrauch „Götterspruch“. Überspitzt könnte man sagen, dass Sigmund Freud eine Art therapeutisches Orakel war: er hat die „wahre“ Bedeutung eines Traumes verkündet. Systemische Traumarbeit geht im Gegensatz zur frühen Psychoanalyse davon aus, dass Erlebnisse an sich – ob geträumt oder real – keine Wahrheiten verbergen. Vielmehr schreiben wir unseren Erfahrungen eine Bedeutung zu bzw. geben ihnen Sinn. Sozusagen konstruieren wir permanent bewusste und unbewusste Bedeutungszusammenhänge. Als Psychotherapeut nütze ich unter anderem die Metaphern von Träumen, um diese intuitiven Problem- und Lösungsbilder gemeinsam mit meinem Gegenüber in eine reale Lebenswelt zu übersetzen.

Sie meinen: „Jeder Nachttraum entfaltet in uns vitale Kompetenzen, die auch im Wachleben genutzt werden sollten.“ Wie genau ist das zu verstehen?

Unser nächtliches Kino lässt sich viel weiter fassen als ein Mysterium, das sich orakelhaft ausdrückt. Im Traumschlaf entfalten sich unsere produktiven Gestaltungskräfte mühelos: wir sind quasi Drehbuchautor, Regisseur, Haupt- und Nebendarsteller, Kostümbildner, Produzent und vieles mehr. Vitale Kompetenzen im Wachleben zeigen sich vor allem in unseren Fähigkeiten zum Visionieren und unserer Befähigung zum Verwirklichen. Diese sogenannten Traumkompetenzen sind Ausdrucksformen menschlicher Vitalität, die auch für die psychotherapeutische Arbeit zentral sind.

Was sind Traumkompetenzen und wie können diese unsere Stärken entfalten?

Ein konkretes Beispiel: im ersten Therapiegespräch frage ich immer nach den Therapiezielen: „Was hätten Sie erreicht, falls die Therapie für Sie nützlich gewesen wäre?“ Ich nütze das Vorstellungsvermögen von Klienten und Klientinnen immer wieder, um Zukunftsbilder zu konkretisieren. Manche Personen verfügen über klare Zielvorstellungen; andere haben kaum Ideen, wohin die Reise gehen sollte. Die lebenswichtige Kompetenz des Visionierens lässt sich fördern, indem nicht bloß Wünsche und Bedürfnisse sowie Erwartungen und Hoffnungen geklärt werden, sondern auch Lebensperspektiven hergestellt werden. Um Lebendigkeit erfahren zu können, braucht das Leben eine Richtung. Sobald sich Schwierigkeiten und Probleme in den Weg stellen, geht es um die Frage, welche Fähigkeiten benötigt werden, um auftretende Hindernisse überwinden zu können. Der Hauptjob jedes Psychotherapeuten und jeder Psychotherapeutin besteht wohl darin, vorhandene Stärken zu stärken, persönliche Ressourcen zu aktivieren und Fähigkeiten, die noch fehlen, zu trainieren.

Kann ich via Traumdialoge meine Realisierungsfähigkeiten trainieren?

Ja, da die Seite des Visionierens eine pragmatische Dimension fordert: ein aktives Verwirklichen oder Umsetzen des Beabsichtigten. Mit anderen Worten: wir planen nicht nur, sondern nützen munter unsere Möglichkeiten, um Pläne umzusetzen. Mit einem Baumeister, der plant ohne zu bauen, wird niemand eine Freude haben. Außerdem eignet man sich Strategien an, um persönliche Ziele erreichen zu können. In der Psychologie nennt man das „Selbstregulation“: die Fähigkeit, dass wir alle in der Lage sind, eigenes Verhalten im Hinblick auf selbst gesetzte Ziele zu steuern.

Dabei geht es nicht nur um eigene schöpferische Kräfte zu entfalten, sondern auch um die Verarbeitung von Ängsten, Depressionen und Krisen?

Die häufigsten Gründe, die Menschen zu sogenannten Professionalisten der Psyche führen, also zu Psychotherapeuten, Psychologen oder Psychiater, sind Ängste und Depressionen. Psychotherapie hilft nicht hilfreiche Erlebens- und Verhaltensmuster zu unterbrechen, um neue hilfreichere Vorgehensweisen entwickeln zu können. Eine Form der Realisierungsfähigkeit kann sogar sein, realistische Ziele vor eher unrealistischen Zielen zu stellen. Hilfreich ist dies beispielsweise für Menschen, die unter depressiven Verstimmungen leiden. Bei unangemessenen Angstzuständen ist die schöpferische Kraft in Richtung Gefahren oder Bedrohungen zu stark ausgeprägt. Und Krisen hinterfragen bestehende Selbst- und Zukunftsbilder, wobei das Visionieren und Verwirklichen zu einer Art experimentierendes Sich-Ausprobieren wird.

Wie lässt sich somit meine Lebensqualität durch Traumarbeit verbessern?

Am besten wieder ein Beispiel: Ein Klient hatte seit Jahren wiederkehrend einen Traum: in unterschiedlichen Settings wurde er auf der Toilette von Personen gestört. Er träumte etwa mit vielen Leuten auf einer Geburtsfeier zu sein, doch als er aufs Klo ging, stellte sich heraus, dass sich die Tür nicht versperren ließ. Bei der Idee, das Traummotiv der Toilette als Metapher des eigenen autonomen Raumes im Leben zu verstehen, fanden wir eine gute Spur. Im therapeutischen Dialog wurde dem Klienten bewusst, dass er in Partnerschaften sein Bedürfnis nach Autonomie, also nach mehr Freiheit und Unabhängigkeit, zu sehr vernachlässigt. So wurden ihm Beziehungen oft zu eng. Um seine Lebensqualität zu verbessern, ging es darum seine Bedürfnisse nach Autonomie und nach Verbundenheit mit der aktuellen Partnerin besser zu balancieren, sodass beides erfahrbar werden kann: Autonomie und Verbundenheit.

Wie sieht die Traumarbeit dabei genau aus? Wie gehen Sie vor? Was ist dabei entscheidend?

Sogenannte Traumarbeit unterscheidet sich an sich nicht von meiner psychotherapeutischen Arbeit. Kurz gesagt geht es im dialogischen Austausch darum, Personen mehr mit ihrer innerlichen Atmosphäre in Resonanz zu bringen: welches Erleben zeigt sich in welchen Kontexten, wann können sich hilfreiche Ressourcen aktivieren und wann weniger oder gar nicht. Entscheidend dabei ist herauszufinden, was man tun kann, um auf nicht nützliche und unwillkürliche Prozesse bewusst einwirken zu können, wie etwa auf Problemgedanken oder unangemessen starke Emotionen.

Geht es dabei auch darum, eigene Vorhaben besser zu manifestieren, um im Leben die Dinge besser umzusetzen, Zukunftsbilder zu erreichen?

Ja, das kann ein psychotherapeutischer Auftrag sein, wobei dies eher als Coaching oder psychosoziale Beratung bezeichnet wird. Als Psychotherapeut orientiere ich mich in meiner Arbeit immer an den persönlichen Anliegen und individuellen Zielen, die Personen durch eine Psychotherapie fokussieren wollen. Neben dem Visionieren, bei dem mittels Vorstellungsvermögen bestimmte Zielvorstellungen und Zukunftsbilder konkretisiert werden, und dem Verwirklichen, das verfügbare Ressourcen und Strategien nützt, um Pläne auch umsetzen zu können, sind wir Menschen aber auch zum Irrationalen veranlagt, zum Sinnlichen, Triebhaften, Rauschhaften, Ekstatischen, Lust- und Schmerzvollen, wenn auch normalerweise rationales Verstehen, logische Erkenntnis und vernunftgemäßes Denken und Handeln am Steuer sind; und wir können uns auch in überindividuellen, gesellschaftlichen, sozialpolitischen oder spirituellen Visionen verwirklichen, versuchen inneren Frieden zu erleben, Beziehungen zu gestalten, Gutes zu tun und uns gut zu versorgen, eigene Ziele zu verfolgen und Selbstverwirklichung zu erfahren. „Damit das Leben etwas bedeutet“, meinte Joseph Campbell, „müssen wir das Ewige berühren.“ So haben wir auch den Hang, gewöhnliche Erfahrungszustände durch Erlebnisse abzulösen, die transzendente Zustände erfahrbar machen, wie zum Beispiel in Religionen.

Was ist der Unterschied zwischen Nachtträumerei und Tagträumerei? Und was von beiden ist auf der psychologischen Ebene hilfreicher um eigene Vorhaben und Kompetenzen zu manifestieren?

Im Traumschlaf sind sogenannte „Es“-Prozesse aktiv. Es entstehen unbewusste Filme, die wir durch Willenskraft nicht steuern können – abgesehen von luziden Träumen, wo sich ein Träumer bewusst wird, dass er träumt und willentlich in den sogenannten Klartraum eingreifen kann. Tagträume sind Imaginationen in uns, die zwar wie in wie Trance intuitiv auftauchen können aber immer bewusst veränderbar sind. Was hilfreicher ist, hängt sehr von den Ressourcen einer Person ab.

Traumhaftes Visualisieren? Wie geht das? Was kann ich damit für mich erzielen?

Am besten hört man sich dazu die Übung „Meine Reise ins Wunder“ auf meiner Autoren-Homepage an: robertriedl.com/Meine-Reise-ins-Wunder

Ihr Tipp für schöne Träume?

Vor dem Einschlafen sich selber zu fragen, worauf es im Leben ankommt und sich vorstellen wie der nächste Tag aussehen könnte, wenn über Nacht alle Probleme, Schwierigkeiten und Hindernisse im Alltag verschwunden wären.


Artikel Traumdialog, Die Steirerin (PDF)


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